Nachhaltiger Tourismus in Belarus: Andrej Pachomenko im Interview
Seit über 10 Jahren beteiligt sich die LAG 21 NRW in Kooperation mit dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund (IBB) am Förderprogramm Belarus der deutschen Bundesregierung, in dem u.a. lokale Nachhaltigkeitsstrategien erarbeitet und Dialogformate durchgeführt werden.
Andrej Pachomenko arbeitet von verschiedenen Stellen am Thema nachhaltiger Tourismus. Er ist u.a. Direktor der Öko-Bildungseinrichtung "Ökosled" und Dozent an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Staatlichen Kuleshov Universität in Mogilev. Im Interview spricht er über die Auswirkungen der politischen Situation in Belarus auf internationale Zusammenarbeit und den Tourismus im Land, sowie über den Mehrwert von nachhaltigem Tourismus.
Aus dem Russischen übersetzt von Siarhei Paulavitski und Evgeny Yuriev
Sie nehmen am Trainingskurs „Kapazitätsaufbau und Empowerment zur Lokalisierung der Agenda 2030 in Belarus“ teil, der im Rahmen des Förderprogramms Belarus vom IBB Dortmund und der LAG 21 NRW veranstaltet wird. Was ist Ihre Motivation und was ist der Nutzen für Sie?
Die Teilnahme am Trainingskurs ist für mich eine wichtige Etappe beim Aufbau beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Die von den Expertinnen und Experten im Rahmen des Trainingskurses vermittelten Informationen ermöglichen es mir, alternative Ansichten zu verschiedenen Diskussionsthemen zu verstehen, darunter auch solche, mit denen ich bereits vertraut bin. Besonders interessant ist die Tatsache, dass die deutschen und belarussischen Erfahrungen parallel diskutiert werden. Es ist zwar klar, dass einige der in Deutschland verwendeten Ansätze zur Lokalisierung von Nachhaltigkeitsstrategien nicht immer auf uns anwendbar sind, aber die Fachvorträge und Diskussionen mit belarussischen Kollegen geben mir Denkanstöße und ermöglichen es mir, neue Ideen für die Arbeit in der Region zu entwickeln.
Wie wirkt sich die aktuelle politische Situation in Belarus auf die Arbeit in internationalen Projekten und Nachhaltigkeitsaktivitäten aus?
Die Auswirkungen sind zweifelsohne groß. Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Zahl der internationalen Projekte auf regionaler und lokaler Ebene abnimmt. Hierfür gibt es mehrere Gründe: ein gegenseitiges Misstrauen zwischen internationalen Organisationen und staatlichen Behörden (vor allem auf lokaler Ebene), ein Rückgang der Zahl der aktiven Akteure im NGO-Bereich (sowohl auf der Ebene der Organisationen als auch auf der Expertenebene) und natürlich eine Umorientierung der lokalen Gemeinschaft in der Region auf die Lösung von Alltagsproblemen.
Natürlich ist es bedauerlich, dass die in den letzten Jahren der aktiven Arbeit im Bereich der nachhaltigen Entwicklung aufgebaute Basis jetzt versiegt. Dieses spezielle Thema (lokale nachhaltige Entwicklung) bietet meines Erachtens jedoch die besten Voraussetzungen für den Aufbau neuer Partnerschaften und ist reich an Anreizen für neue Aktivitäten im Bereich der internationalen Projekte. Es ist klar, dass dies nicht schnell geschieht. Es ist klar, dass der Prozess etwas schmerzhaft sein wird, da die verlorenen Verbindungen wiederhergestellt werden müssen. Doch je schneller die Zusammenarbeit wiederhergestellt werden kann, desto weniger Zeit geht verloren und desto weniger Aufwand muss für den "Wiederaufbau" betrieben werden.
Was genau verstehen Sie unter "nachhaltigem Tourismus" und an welchen Aktivitäten arbeiten Sie derzeit?
Für mich ist nachhaltiger Tourismus ein Tourismus, der darauf abzielt, die Umweltbelastung zu verringern, die lokale Kultur und Wirtschaft zu unterstützen, die Einwohner zu mobilisieren und sie in wirtschaftliche Aktivitäten auf lokaler Ebene einzubeziehen.
Meine Kolleginnen und Kollegen und ich arbeiten derzeit an der Entwicklung eines eigenen Umweltzeichens für agroökotouristische Bauernhöfe in der Region Mogiljow. Es basiert darauf, die Übereinstimmung der für Touristen erbrachten Dienstleistungen mit den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung zu bewerten. Diese Arbeit hat im Cluster für ländlichen Tourismus "Das Land der lebensspendenden Quellen" begonnen, das sich im zentralen Teil der Region Mogiljow befindet. Wir arbeiten jetzt mit den Besitzern der agroökotouristischen Bauernhöfe zusammen, um verschiedene "nachhaltige" Ideen in ihre landwirtschaftlichen und touristischen Geschäftspraktiken einzuführen. Unser langjähriger Partner Dr. Heinz Wehmeyer von der Deutsch-Russländischen Gesellschaft in Wittenberg unterstützt uns dabei aktiv.
Wie sehen die Aussichten für den Tourismus in Belarus derzeit aus (unter Berücksichtigung der politischen Situation und der Corona-Pandemie)?
Ich nehme an, dass sich die touristischen Aktivitäten in dieser Saison hauptsächlich auf den inländischen Niedrigpreis-Tourismus konzentrieren werden. Aber gleichzeitig kennen die Menschen in unserem Land, die schon in verschiedenen Regionen unterwegs waren, das Niveau der touristischen Dienstleistungen in anderen Ländern, und ich denke, sie werden an die Akteure des lokalen Tourismussektors hohe Ansprüche stellen. Dies ist eine ernste Herausforderung, die bereits jetzt angegangen werden sollte. Neue, nicht standardisierte touristische Produkte und Dienstleistungen, die die Nachfrage verschiedener Zielgruppen befriedigen können, sollten wahrscheinlich schon jetzt entwickelt werden.
Es ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach lokalen Tourismusdienstleistungen in der Nähe größerer Bevölkerungszentren und in Regionen mit höherem Einkommensniveau steigen wird. Gleichzeitig wird die deprimierende Haltung der einheimischen Bevölkerung in anderen Gebieten auf einen verstärkten Wettbewerb um Kunden unter den ländlichen agroökotouristischen Bauernhöfen hinweisen. Deshalb muss bereits jetzt daran gearbeitet werden, die Qualität der Tourismusprodukte zu verbessern und sie kostengünstiger zu machen.
Außerdem lässt sich vermuten, dass sich die Verbreitung der Digitalisierung im Landtourismus erheblich verlangsamen wird, da möglicherweise Probleme bei der Nutzung von Bankdiensten im Zusammenhang mit bargeldlosen Zahlungen, elektronischen Reservierungssystemen für Unterkünfte usw. auftreten werden.
Welche Chancen bietet der nachhaltige Tourismus sowohl für Belarus, als auch für die Region Mogiljow im Zusammenhang mit der Umsetzung der regionalen Nachhaltigkeitsstrategie?
Die Entwicklung des nachhaltigen Tourismus wurde als eines der für die Entwicklung der Region Mogiljow vorgeschlagenen Geschäftsmodelle angenommen und in den Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung 2022 (als Teil der Umsetzung von Phase 1 der Nachhaltigkeitsstrategie für die Region Mogiljow für den Zeitraum bis 2035) integriert. Das Dokument wurde am 06.01.2022 von Anatolij Issatschenko, dem Vorsitzenden des regionalen Exekutivkomitees Mogiljow, genehmigt. Diese Aktivität wird von der Abteilung für Sport und Tourismus des regionalen Exekutivkomitees Mogiljow betreut.
Die Arbeit in diesem Bereich wird in der Region in Partnerschaft mit staatlichen Organisationen, den Besitzern der agroökotouristischen Bauernhöfe und NGOs durchgeführt. Es ist geplant, dass nachhaltiger Tourismus als Geschäftsmodell in zwei Tourismusclustern der Region Mogiljow eingeführt wird, und zwar im Cluster "Tschigirinka" und im Cluster "Das Land der lebensspendenden Quellen". Wir hoffen, dass es nicht nur die Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die Umwelt verringert und die Kosten der Besitzer von agroökotouristischen Bauernhöfen optimiert, sondern auch einen informativen Effekt haben wird, indem den Touristen die Ideen der nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf die lokalen Gegebenheiten näher gebracht werden.
Ich denke, dass wir uns in diesen schwierigen Zeiten noch mehr anstrengen müssen, um vielfältige Partnerschaften zu pflegen sowie umwelt- und sozialbewusste und verantwortungsvolle Geschäftsmodelle auf verschiedenen Ebenen einzuführen. Nur so werden wir in den Regionen in der Lage sein, die Krise zu bewältigen.