Kreislaufwirtschaft in Belarus: Nadeschda Batowa im Interview
Seit über 10 Jahren beteiligt sich die LAG 21 NRW in Kooperation mit dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund (IBB) am Förderprogramm Belarus der deutschen Bundesregierung, in dem u.a. lokale Nachhaltigkeitsstrategien erarbeitet und Dialogformate durchgeführt werden.
Nadeschda Batowa ist Professorin am Institut für Wirtschaft der Nationalen Akademie der Wissenschaften von Belarus und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Kreislaufwirtschaft. Im Interview gibt sie Einblick, wie weit die belarussische Wirtschaft auf dem Weg Richtung Circular Economy ist und welche Projekte besonders stark wirken.
Aus dem Russischen übersetzt von Siarhei Paulavitski und Evgeny Yuriev
Sie nehmen am Trainingskurs „Kapazitätsaufbau und Empowerment zur Lokalisierung der Agenda 2030 in Belarus“ teil, der im Rahmen des Förderprogramms Belarus vom Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund und der LAG 21 NRW veranstaltet wird. Was ist Ihre Motivation und was ist der Nutzen für Sie?
Mein Schwerpunkt liegt auf der Durchführung von Grundlagen- und angewandter Forschung im Bereich der grünen Kreislaufwirtschaft. Im Kurs kann ich neue Kenntnisse erwerben und mein Wissensgebiet erweitern. Das hohe Niveau der Referierenden von IBB und LAG 21 NRW sowie ihr praktisches Engagement für die Förderung nachhaltiger Entwicklung machen den Kurs einzigartig. Interessantes Vorlesungsmaterial und aktive Diskussionen ermöglichten es mir, den Platz und die Bedeutung der grünen Wirtschaft in der nachhaltigen Entwicklung besser zu verstehen und die Auswirkungen der Instrumente der grünen Wirtschaft nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die wirtschaftlichen und sozialen Komponenten der Nachhaltigkeit zu erkennen.
Wie weit ist Belarus derzeit auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft?
Die Mehrheit der belarussischen Unternehmen entspricht dem traditionellen, linearen Modell. Nach Expertenschätzungen gehören etwa zehn Prozent der belarussischen Unternehmen zu einem Modell, das auf den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft beruht. Die groß angelegte Entwicklung der Kreislaufwirtschaft in Belarus wird durch eine Reihe soziokultureller, gesetzlicher, informationeller, technologischer und wirtschaftlicher Hindernisse eingeschränkt. Obwohl sich das Land noch in der Anfangsphase des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft befindet, sind die belarussischen Unternehmen an der Kreislaufwirtschaft interessiert und sehen darin zusätzliche Möglichkeiten zur Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz und zur Erweiterung der Absatzmärkte.
Wer sind die wichtigsten Akteur*innen bei der Entwicklung der Kreislaufwirtschaft in Belarus, auch auf lokaler Ebene?
Die wichtigsten Stakeholder der Kreislaufwirtschaft in Belarus sind alle Akteur*innen, die in die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft eingebunden sind. Dazu gehören auch die nationalen und regionalen Behörden, die für die Entwicklung und Umsetzung dieser Politik verantwortlich sind. Laut Umfragen unter belarussischen Unternehmen sind die folgenden Faktoren die wichtigsten für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft:
- Bereitstellung staatlicher Unterstützung für die Kreislaufwirtschaft
- Entwicklung und Umsetzung sowohl unterstützender als auch stimulierender Mechanismen, einschließlich der gesetzlichen Priorisierung der Nutzung sekundärer Ressourcen und des Abfallrecyclings
- Bereitstellung separater Vorzugskreditlinien für kreislaufwirtschaftliche Projekte, einschließlich solcher mit staatlichen Garantien
- Bereitstellung von Subventionen und Steueranreizen für Unternehmen mit geschlossenen Produktionskreisläufen
- Entwicklung öffentlich-privater Partnerschaften
Bis vor kurzem war die Beteiligung der lokalen Behörden unbedeutend. Im Jahr 2021 wurde der Nationale Aktionsplan für die Entwicklung einer "grünen" Wirtschaft in der Republik Belarus für den Zeitraum 2021-2025 verabschiedet, der auch eine Reihe von Maßnahmen zur Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft enthält, für deren Durchführung neben den Ministerien die regionalen, kreislichen und städtischen Exekutivkomitees zuständig sind. Diese Maßnahme wird ihre Beteiligung an der Entwicklung einer grünen Kreislaufwirtschaft deutlich erhöhen.
Wie relevant sind Nachhaltigkeitsthemen derzeit für belarussische Unternehmen im Allgemeinen?
Die aktuellen Trends in der belarussischen Wirtschaft bestätigen die Relevanz von Nachhaltigkeitsfragen für Unternehmen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen. Meiner Einschätzung nach ist die ESG-Transformation der belarussischen Wirtschaft sowie die Entwicklung entsprechender betrieblicher Nachhaltigkeitsstrategien keine Frage der individuellen Entscheidung der Unternehmen. Die Exportorientierung der belarussischen Wirtschaft führt dazu, dass diese Maßnahmen unvermeidlich werden. Unternehmen, die den globalen Trends nicht Rechnung tragen, werden einfach aufhören zu existieren oder bleiben ausschließlich auf dem heimischen Markt, dessen Kapazität sehr begrenzt ist.
Die derzeitige Krise in der Weltwirtschaft ist sicherlich eine Bedrohung für viele Länder, auch für Belarus. Aber die Krise ist auch eine Zeit der großen Chancen. In solchen Zeiten wird das System der etablierten Beziehungen neu aufgebaut. Um die Krise zu überwinden, schließen sich die Unternehmen zusammen und verfolgen gemeinsame Ziele. Und mir scheint, dass eine nachhaltige Entwicklung ein erstrebenswertes Ziel ist, das nicht nur einzelne Unternehmen, sondern die belarussische Wirtschaft als Ganzes zusammenführen kann.
Welche Projekte und Maßnahmen zur Kreislaufwirtschaft werden derzeit in Belarus durchgeführt?
In Belarus gibt es wirksame Beispiele für Kreislaufwirtschaftsmodelle. Dabei handelt es sich um folgendes:
- Anlagen zur Herstellung von Büropapier aus Altpapier in Borissow (UP "Goznak Papierfabrik")
- Recycling von Altöl im Kreis Krupki in der Region Minsk; Recycling von Holzabfällen zu Biokraftstoff in Brest (PKUP "Kommunalnik")
- die bestehenden Dienste für die Vermietung von Wohnungen, Autos, Fahrrädern und Rollern
- Biogas-Energie-Komplexe auf der Grundlage der Verwertung von Abfällen aus der landwirtschaftlichen Produktion in solchen Organisationen wie Geflügelfarm "Belorusskij", Hybridzüchtungszentrum "Sapadnij", Geflügelfarm Gomel landwirtschaftlicher Komplex "Snov", "Lan-Nesvizh" SPK "Rassvet", und andere
- Durchführung innovativer Projekte zur Einführung abfallarmer Technologien in Industrie- und Metallurgieunternehmen usw.
Das Ministerium für natürliche Ressourcen und Umweltschutz der Republik Belarus studiert gemeinsam mit Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften von Belarus und führenden Universitäten des Landes die internationalen Erfahrungen mit der staatlichen Regulierung der Kreislaufwirtschaft. Die Konsultationen zu den konzeptionellen Fragen der Ausarbeitung der Strategie der Republik Belarus zur Entwicklung der Kreislaufwirtschaft für den Zeitraum bis 2035 sind im Gange. Im Laufe des Jahres 2022 wird ein Strategieentwurf erstellt, der von allen Beteiligten weiter diskutiert und ergänzt werden soll.
Wie geht es auf regionaler Ebene voran?
Was die Regionen anbelangt, so ist die Region Mogiljow am konsequentesten bei der Entwicklung der Kreislaufwirtschaft. Im Jahr 2021 wurde ein Aktionsplan zur Stimulierung der Clusterentwicklung in der Region Mogiljow für den Zeitraum 2022-2024 entwickelt, der die Umsetzung von Maßnahmen zur Bildung von sechs Clustern in der Region Mogiljow in den folgenden Bereichen vorsieht: Bildung, IT, Tourismus, Agrotechnik, Bauwesen und Tourismus.
Im Rahmen des Projekts "Aufbau von Kapazitäten für die strategische Planung und das Management des regionalen Strukturwandels in Belarus im Kontext der Kreislaufwirtschaft", das vom Regionalfonds "Verwaltungsreform in der Östlichen Partnerschaft" der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des BMZ finanziert wurde, wurde ein Programm zur Entwicklung der Kreislaufwirtschaft in der Region Brest für den Zeitraum 2021-2025 erstellt. Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Lebensmittelindustrie wurden als vorrangige Entwicklungsbereiche festgelegt. Obwohl das Programm selbst noch nicht verabschiedet ist, wurde in der Region eine Liste von Investitionsideen für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft und deren potenziellen Umsetzern erstellt.
Wie beurteilen Sie das internationale Engagement für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft in Belarus? Wie wichtig ist es für Ihre Arbeit?
Es ist äußerst wichtig. Die Identifizierung globaler Trends und Entwicklungstendenzen, die Untersuchung der Erfahrungen bei der Gestaltung des rechtlichen Rahmens sowie die Systematisierung der Faktoren und Hindernisse für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft in anderen Ländern sind die Hauptaufgaben bei der Konzipierung nationaler Maßnahmen zur Entwicklung in dieser Richtung. Die internationale Zusammenarbeit durch gemeinsame Forschung, Konferenzen, Seminare und runde Tische kann diesen Prozess erheblich beschleunigen und die Objektivität der Ergebnisse sowie ihre wissenschaftliche und praktische Relevanz verbessern. Internationale Konsultationen und unabhängige Expertenbewertungen von politischen Maßnahmen und Leitlinien zur Umsetzung der Prinzipien der Kreislaufwirtschaft können Belarus dabei helfen, die besten internationalen Erfahrungen der Spitzenländer bei der Entwicklung der Kreislaufwirtschaft zu übernehmen, ihre Erfahrungen an den nationalen Kontext anzupassen und dadurch zu einer beschleunigten Transformation der belarussischen Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft beizutragen.