KommunalFORUM „Mobilität“: Südwestfalen Autonom & Mobil (SAM)
Fotos (von links): Stadt Drolshagen, Südwestfalen Agentur Olpe
Wie die Stadt Drolshagen und die Region Südwestfalen einen wichtigen Schritt insbesondere für den nachhaltigen öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum gehen, erklärt uns Bürgermeister Ulrich Berghof.
Herr Bürgermeister Berghof, das Projekt „Südwestfalen Autonom & Mobil“ (SAM) untersucht den Einsatz von automatisierten Shuttles im öffentlichen Straßenraum als Teil eines neuen öffentlichen Nahverkehrs, u.a. in Drolshagen. Können Sie die Ausgangslage beschreiben, vor deren Hintergrund das Projekt entstanden ist?
Sehr gerne. Drolshagen ist eine kleine Stadt mit rund 12.000 Einwohnern in insgesamt 58 Ortschaften. Wir sind Teil des ländlich strukturierten Kreises Olpe in Südwestfalen. In unseren Dörfern und unserem kleinen Städtchen leben zwischen drei und 4.800 Menschen. Die regelmäßige Versorgung mit dem ÖPNV gestaltet sich überwiegend schwierig. Über einen Bahnanschluss verfügt die Stadt nicht mehr, Busse verkehren vor allem, um Schülerinnen und Schüler zu transportieren und selbst das Taxi-Angebot geht aktuell immer weiter zurück. Einerseits Konsequenz dessen, andererseits vielleicht aber auch Ursache ist, dass jede Familie über gefühlt mindestens zwei bis drei Autos verfügt, um die notwendige bzw. individuell gewünschte Mobilität sicherzustellen.
Überall stehen parkende Autos herum, denn unsere Fahrzeuge sind während eines Großteils des Tages „Stehzeuge“, die eine Menge Fläche benötigen. Bereits vor Jahren haben wir erste kleine Schritte unternommen, um hier entgegenzusteuern: Zwei Dienstfahrzeuge der Stadtverwaltung haben wir abgeschafft und nutzen nun Carsharing. Wir versuchen die Entwicklung von Mobilitäts-Apps zu unterstützen, werden demnächst im Rahmen eines „betrieblichen Mobilitätsmanagements“ prüfen, welche Anreize geschaffen werden können, damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf „verträglichere“ Art und Weise ihren Arbeitsplatz Stadtverwaltung Drolshagen erreichen und wir setzen testweise das hochautomatisiert fahrende Shuttle „SAM“ für ein paar Monate im „normalen“ Straßenverkehr in Drolshagen ein.
Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Projekt? Inwiefern trägt es dazu bei, Mobilität nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten?
Wir glauben fest daran, dass hochautomatisierte Shuttles wie SAM einen Teil der Mobilität der Zukunft – auch im ländlichen Raum – darstellen können. Sollte das Fahrzeug in ein paar Jahren nach Fortentwicklung seiner Technik ohne Begleitperson fahren dürfen, wäre es die perfekte Lösung für das Zurücklegen von Strecken innerhalb unseres Stadtgebietes, d. h. zwischen unseren 58 Ortschaften. Dann könnte man SAM per App anfordern, sich vor der eigenen Haustür abholen und sich bis zu einem gewünschten Ziel im Nahbereich bringen lassen. Damit würden wir viele unserer Ziele erreichen:
- Teilweise könnten Haushalte Zweit- und Drittwagen abschaffen und dennoch mobil sein
- Es fahren nicht mehr unpassend große Busse wenige Passagiere und viel warme Luft durch die Gegend.
- Es entstehen weniger Emissionen, da SAM sehr leise mit „grünem Strom“ fährt.
- Busfahrer würden auf Kurzstrecken nicht mehr benötigt. Deren aktueller Mangel führt nicht mehr zu Fahrausfällen.
- Weniger Parkraum wird benötigt.
Das Projektkonsortium besteht aus Verkehrsträgern, Kommunen sowie Unternehmen aus der Region und wird wissenschaftlich begleitet. Ist dies eine Stärke des Projektes? Und wenn ja, wieso?
Ja, diese Kombination erzeugt Stärke. Der Aufgabenträger Zweckverband Personennahverkehr Westfalen-Süd sucht gemeinsam mit uns Kommunen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Die starke südwestfälische Wirtschaft erarbeitet sich neue Aufgabenfelder und schafft sich Netzwerke. Die wissenschaftliche Begleitung erweitert unseren Horizont und regt die Fantasie an. Alles in allem haben sich die richtigen Partner gefunden. Diese Zusammenarbeit werden wir als Stadt Drolshagen weiter leben lassen und ausbauen. Sie kann uns in diesem und anderen Themenfeldern helfen, Lösungen zu finden, über die wir allein nie nachgedacht hätten.
Der Probebetrieb des Shuttles „SAM“ wurde aufgrund der Corona-Krise für anderthalb Monate ausgesetzt. Welche Erkenntnisse und Erfahrungen konnten Sie in den letzten Monaten dennoch sammeln?
Die Auswertungen des Projektes stehen noch bevor. SAM wird unmittelbar anschließend noch mehrere Monate in der Stadt Lennestadt, ebenfalls im Kreis Olpe gelegen, unterwegs sein. Erst danach wird es umfangreichere Ergebnisse geben. Zwei Dinge stehen aber bereits jetzt fest:
- SAM ist in Drolshagen bereits etwas ganz Normales. Er gehört zum Stadtbild. Es gibt einerseits keine Hemmungen einzusteigen. Andererseits hat er seine sehr große Anziehungskraft als Besonderheit schnell verloren.
- Das Auftreten des Corona-Virus hat dem Projekt deutlich geschadet:
- die von Ihnen bereits genannte Pause
- nun dürfen nur noch vier statt sechs Sitzplätze angeboten werden.
- Besuchergruppen, die sich angekündigt hatten, werden nun nicht nach Drolshagen reisen und
- zumindest aktuell hat das Interesse, mit anderen in einem kleinen Shuttle-Bus zu sitzen, deutlich nachgelassen.
Das Projekt eignet sich besonders für den ländlichen Raum. Glauben Sie, dass das Konzept in vielen Kommunen auf dem Land umgesetzt werden kann? Ist es auch übertragbar auf größere Städte?
Sobald die Technik weiter fortgeschritten ist, eignet sich der ergänzende Einsatz zu anderen Verkehrsmitteln sowohl in größeren Städten als auch im ländlichen Raum. Auf dem Land lassen sich die oftmals nur kurzen Strecken zwischen Ortschaften ideal damit zurücklegen. Viele Ziele könnten erreicht werden (s. o.). In größeren Städten, aber auch im Ortsteil Drolshagen selbst, kann mit SAM die sog. „letzte Meile“ zum Bahnhof oder zur Bushaltestelle hin bzw. von dort zurück zum eigenen zu Hause zurückgelegt werden.
Herr Berghof, Ihre Vision für die Zukunft: Wie bewegen sich die Menschen in Drolshagen und der Region Südwestfalen im Jahr 2030 fort?
Auch ich habe keine Glaskugel. Da Sie mich aber auffordern, träume ich einfach vor mich hin: Mobilität in Drolshagen in Südwestfalen im Jahr 2030:
Die Menschen sind mobil wie nie zuvor. Verkehrsträger und –teilnehmer sind umfangreich miteinander vernetzt und schaffen auf diese Weise ein nutzerfreundliches und effizientes Mobilitätssystem.
Im Nahbereich bewegt man sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder E-Bike. Bei schlechterem Wetter oder für weitere Strecken im eigenen Stadtgebiet können Wege zum günstigen Fahrpreis mit automatisierten Shuttles (wie „SAM“) zurückgelegt werden. Es gibt weiterhin das eigene Auto, das nun mit einer hohen Anzahl von Assistenzsystemen für Fahrkomfort, -sicherheit und möglichst geringen Energieverbrauch sorgt. Es wird in der Regel mit Strom, vereinzelt auch mit Wasserstoff angetrieben.
Die Gesamtzahl der PKW hat deutlich abgenommen. Es gibt andere geeignete Mittel, um mobil zu sein. Das eigene Auto ist im Vergleich zu teuer.
Das, was früher ein Busbahnhof in Drolshagen war, ist heute (2030) eine sog. „Mobilitätsstation“, ein Ort, der verschiedene Verkehrsmittel und Mobilitätsservices räumlich zusammenbringt. Hier treffen sich öffentlicher Personennahverkehr und Sharing-Angebote; hier findet man Möglichkeiten zum Einlagern und Parken.
Für den überörtlichen Verkehr stehen Busse zur Verfügung, die mit Strom oder Wasserstoff angetrieben werden. Bei Bedarf bringen sie die Menschen zu Bahnhöfen in den größeren Städten. Von dort kann man mit dem Zug deutschlandweit und in Europa Fernziele erreichen.
Drolshagen wird entlastet: Der automatisierte und vernetzte Verkehr nutzt die natürliche Ressourcen, den vorhandenen Raum, Fahrzeuge und Infrastrukturen besser. Mobilitätsstationen, Carsharing oder selbstparkende Fahrzeuge sparen Raum, der für Wohnen und Leben der Menschen frei wird.
Herr Bürgermeister Berghof, wir danken Ihnen für diesen spannenden Einblick!
Weitere Informationen zum Projekt SAM „Südwestfalen Autonom & Mobil“ finden Sie unter: https://www.sam-unterwegs.de/Startseite/ Ein Video des autonomen Shuttles SAM finden Sie hier beim WDR, Interessierte Kommunen können sich gerne an den Geschäftsführer des Zweckverbandes Personennahverkehr Westfalen-Süd, Herrn Günter Padt, Tel. 02 71 /3 33 24 33, E-Mail: padt@zws-online.de wenden.