KommunalFORUM "Geschlechtergleichstellung": Strategische Arbeit zur Gleichstellung
Von links: Klausur des Verwaltungsvorstandes zur Bochum Strategie mit OB Thomas Eiskirch; Verleihung des Gender Awards (2. Platz) an die Stadt Bochum, u.a. mit Bundesministerin Franziska Giffey; alle Preisträger*innen des Gender Awards 2019 (Fotos: Kühnapfel Fotografie); Bochum Strategie (Fotos: Stadt Bochum)
Wie die Stadt Bochum Gleichstellungsarbeit als kommunale Querschnittsaufgabe strategisch verankert, erklärt uns die Leiterin des Referats für Gleichstellung, Familie und Inklusion, Regina Czajka, anlässlich der 7. Kommunalen Nachhaltigkeitstagung NRW.
Frau Czajka, Gleichstellungsarbeit wird in der Stadt Bochum als kommunale Querschnittsaufgabe verstanden und strategisch z.B. in der Stadtentwicklung verankert: Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Als Querschnittsaufgabe betrifft Gleichstellungsarbeit grundsätzlich alle kommunalen Handlungsfelder. Deshalb ist es wichtig, Geschlechtergerechtigkeit in den Zielen der Stadtentwicklung zu benennen und in der Praxis, also in den Fachaufgaben, konkret auszugestalten.
In der strategischen Verankerung sowie in der praktischen Umsetzung muss Gleichstellungsarbeit mit anderen Strategieprozessen und Umsetzungskonzepten in der Kommune verbunden werden, damit sie wirksam werden kann. Genau hier hat Bochum sich auf den Weg gemacht. Mit der „Bochum Strategie 2030“ wurde im breiten Beteiligungsprozess ein gesamtstädtischer Handlungsrahmen (Kompass) erarbeitet, der als roter Faden der zukünftigen Stadtentwicklung dient.
In diesem Kompass sind ökologische, gesellschaftliche und ökonomische Anforderungen mit Relevanz für die Bochum Strategie und damit für die weitere Entwicklung Bochums beschrieben. Als solche entfalten sie vielschichtige inhaltliche Bezüge zum Zielsystem der Bochum Strategie und seinen Komponenten. Neben „Klimaschutz“, „Sicherheit“ und „sozialer Lage“ ist „Gesellschaftliche Vielfalt“ als eines von vier Querschnittsthemen formuliert:
„Die Bedürfnisse der Menschen an ihre Stadt sind unterschiedlich und hängen von ihrer jeweiligen Lebensphase und -situation ab. Geschlechtergerechtigkeit ist die Basis für eine differenzierte Betrachtung der Bedürfnisse der Menschen, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, Alter, Behinderung sowie sexueller Orientierung oder Identität. Ein bewusster, respektvoller und wertschätzender Umgang mit Verschiedenheit und Individualität wird gefördert. In allen Kompetenzfeldern der Bochum Strategie ist daher der gesellschaftlichen Vielfalt gerecht zu werden, um die Potenziale der unterschiedlichen Menschen zu aktivieren und strukturelle Ungleichheiten abzubauen.“
Eine erfolgreiche Umsetzung der Bochum Strategie trägt mit dazu bei, die Lebensqualität aller hier lebenden Frauen und Männer in ihrer Vielfalt zu sichern und zu verbessern.
Die Stadt Bochum wurde mit dem 2. Platz des bundesweiten „Gender Award – Kommune mit Zukunft 2019“ ausgezeichnet. Gelobt wurde unter anderem das Zusammendenken der Konzepte Gender und Diversity. Können Sie dies genauer erklären? Heißt das, Sie sind bereits am Ziel angekommen?
Die Auszeichnung mit dem Gender Award hat uns sehr gefreut und ist für uns ein Ansporn für weitere Bemühungen, ein gleichberechtigtes Leben von Frauen und Männern nachhaltig zu verwirklichen. Auch hier entwickelt sich das Vorgehen stetig weiter. „Intersektionalität“ ist uns wichtig, deshalb haben wir in Bochum den Weg Richtung „Diversity“ eingeschlagen. Daraus ergibt sich der Anspruch an die entsprechende strategische Vorgehensweise: die Konzepte „Gender“ und „Diversity“ sollen so zusammenfinden, dass die jeweiligen Vorteile in Prozesse und Aktivitäten wirksam einfließen können. Dabei bezieht sich Bochum auf das Positionspapier des Deutschen Städtetages „Gender Mainstreaming und Diversity Management im Kontext kommunaler Gleichstellungspolitik“ aus dem Jahr 2016 und nimmt Geschlechterdifferenzierung als Basis bei allen weiteren Diversity-Kategorien in den Blick, um Mehrfachdiskriminierungen entgegenzuwirken.
Selbstverständlich sind wir nicht am „Ziel“, sondern auf dem „Weg“. Gleichstellungsarbeit und Stadtentwicklung sind komplexe Prozesse, die nur mit dem Zusammenwirken aller Beteiligten zum Erfolg gebracht werden können. Im Rahmen der Bochum Strategie befinden wir uns aktuell in der 2. „Ausbaustufe“, in der wir die Querschnittsthemen methodisch nachvollziehbar verankern werden.
Durch konkrete Prüfschema auf Ebene der Kernaktivitäten, Vermittlung (z. B. im Rahmen eines Querschnittsberichts) sowie Verschränkung der Strategie mit den Fachkonzepten der Kommune (Leitlinien mit Arbeitshilfen z. B. Checklisten, Werkzeugkasten, Formatvorlagen) sollen die Querschnittsthemen in die praktische und dauerhafte Umsetzung implementiert werden. Ein komplexes und gewaltiges Aufgabenpaket, mit dem auch der Erfolg der Projekte qualitativ evaluiert werden soll.
Welchen Beitrag leistet Ihre Gleichstellungsarbeit für die kommunale Nachhaltige Entwicklung in Bochum?
Nachhaltige Entwicklung (sustainable development) wurde im Brundtland-Bericht 1987 definiert als „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“. Die Kernelemente dieses Verständnisses von Nachhaltiger Entwicklung sind ein bedürfnisorientiertes anthropozentrisches Weltbild und eine Ethik, die auf Gerechtigkeit sowohl zwischen als auch innerhalb der Generationen abzielt.
Dies wird in Bochum insofern auch in der Gleichstellungsarbeit berücksichtigt, weil anerkannt wird, dass die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger an ihre Stadt unterschiedlich sind und von ihrer jeweiligen Lebensphase und -situation geprägt sind. Unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, verschiedene Sichtweisen und Kompetenzen der Menschen, die in Bochum leben, ergänzen sich und steigern die Qualität kommunaler Angebote.
In der Präambel zur Bochum Strategie heißt es:
„In Bochum zu wohnen soll bedeuten, auf gute Lebensbedingungen für alle zu treffen. Familiäre und nachbarschaftliche Beziehungen sowie die Fürsorge der Generationen untereinander stärken den sozialen Zusammenhalt und lassen das friedliche Zusammenleben gelingen. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass alle Menschen in Bochum unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrem Alter, einer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung und ihrer finanziellen Möglichkeiten gleichberechtigt und ohne Diskriminierung leben. Diese umfassende Betrachtung der gesellschaftlichen Vielfalt soll dazu beitragen, das Angebot unserer Kommune sowie die Beteiligungsstrukturen für hier lebenden Menschen den gesellschaftlichen Herausforderungen entsprechend weiterzuentwickeln.“
Welche Voraussetzungen (z.B. Strukturen oder Einstellungen) müssen Ihrer Meinung nach für eine wirksame kommunale Gleichstellungsarbeit zwingend gegeben sein?
Die Gleichstellungsbeauftragte muss – wie es die Gemeindeordnung NRW und das Landegleichstellungsgesetz NRW vorsehen – frühzeitig in Prozesse einbezogen werden. Bei der Entwicklung der „Bochum Strategie 2030“ wurde die Gleichstellungsarbeit zukunftsweisend in die Prozesse mit hineingenommen. Ohne eine solche konsequente, klare und umfassende Beteiligungssystematik ist eine wirksame Verankerung strategischer (Gleichstellungs-)Ziele nicht realisierbar.
Wie hat sich die Corona-Krise bisher auf Ihre Arbeit ausgewirkt? Welche gleichstellungspolitischen Fragen treten noch deutlicher zutage als sonst?
In unserer Arbeit haben wir festgestellt, dass Frauen stark von den Maßnahmen der Corona-Krise betroffen sind. Insbesondere erwerbstätige Mütter und Alleinerziehende sind diejenigen, die den Spagat zwischen Home-Office, digitalen Meetings, Arbeit in systemrelevanten Berufen und Betreuung sowie Homeschooling in besonderem Maße vollziehen müssen. Auch häusliche Gewalt gegen Frauen und in Familien hat zugenommen.
Die Corona-Krise hat die jahrelangen Forderungen, die für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft dringend umgesetzt werden müssen, extrem deutlich werden lassen. Die Krise schafft mediale Sichtbarkeit für gleichstellungsrelevante Themen. Das ist zum einen die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorge- bzw. Care-Arbeit und ein – hoffentlich nur zeitweiser – Rückfall in Rollenmuster der 1950er Jahre.
Zum anderen ist dies die schlechte Bezahlung der typischen „Frauenberufe“, wobei sich deutlich gezeigt hat, wie „systemrelevant“ beides ist! Eine weitere Gefahr ist auch, dass Frauen wieder stärker benachteiligt werden, weil sie – aufgrund der durch sie geleisteten Sorgearbeit – öfter im Home-Office oder in Teilzeit arbeiten und für die Vorgesetzten so nicht sichtbar sind. Dies kann Auswirkungen auf den beruflichen Aufstieg haben.
Ihre Vision für 2030: Welche Aspekte Ihrer Gleichstellungsarbeit sind selbstverständlich geworden?
Rollenklischees gehören der Vergangenheit an.
Frauen sind in Führungspositionen, als Expertinnen, in politischen Gremien und den Bereichen der Wirtschaft u.a. paritätisch vertreten.
Es gibt eine geschlechtergerechte Verteilung der Sorgearbeit.
Die typischen „Frauenberufe“ werden angemessen bezahlt und sind damit auch für Männer interessant.
Die Beteiligungsstrukturen wurden so weiterentwickelt, dass Frauen und Männer in den unterschiedlichen Lebensphasen und unabhängig von ihren individuellen Merkmalen (Diversity-Kategorien) sich selbstverständlich mit ihren Ideen in gesellschaftliche Diskussionen und bei politischen Entscheidungen einbringen.
Frau Czajka, wir danken Ihnen für diesen spannenden Einblick!
Weitere Informationen zur Gleichstellungsarbeit der Stadt Bochum finden Sie unter: www.bochum.de. Interessierte Kommunen können sich gerne an das Referat für Gleichstellung, Familie und Inklusion, Leiterin Regina Czajka, E-Mail: czajka@bochum.de, Tel.:0234-910-2008 wenden.