KommunalFORUM „Geschlechtergleichstellung“: Das Projekt „FINANZfairTEILUNG“
Eindrücke aus der Broschüre "FINANZfairTEILUNG - Eine Gebrauchsanleitung für Kommunen" (Grafik links: Mareike Siepmann; andere Grafiken: Stadt Münster)
Wie die Stadt Münster den kommunalen Haushalt als Steuerungsinstrument für mehr Geschlechtergerechtigkeit verwendet, erklärt uns Julia von Hayn vom Amt für Gleichstellung.
Frau von Hayn, im Jahr 2015 startete die Stadt Münster mit der schrittweisen Einführung von Gender Budgeting in den kommunalen Haushalt. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Die Aufgaben einer Kommunalverwaltung reichen vom Öffentlichen Nahverkehr über Kinderbetreuung, Verkehrsplanung oder Grünflächengestaltung. Die Haushaltsplanung betrifft also sehr vielfältige Bereiche und beeinflusst unmittelbar alle Menschen, die in einer Stadt oder Gemeinde leben, aber eben nicht alle Menschen in der gleichen Art und Weise.
Das Ziel von Gender Budgeting ist die Gleichstellung der Geschlechter bei der Ressourcenverteilung, indem die Bedürfnisse von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen zunächst ermittelt und dann möglichst berücksichtigt werden. Gender Budgeting ist also die gleichstellungsorientierte Haushaltsplanung.
Zum besseren Verständnis gebe ich Ihnen einige Beispiel aus dem Alltag: Die Stadtbüchereien werden von deutlich mehr Frauen und Mädchen genutzt als von Männern und Jungen. Daher kommt das Budget Frauen tatsächlich zu einem größeren Anteil zugute als Männern, obwohl die Büchereien eigentlich für alle gedacht sind. Kürzungen hätten wiederum auf Frauen größere Auswirkungen als auf Männer. Ähnlich verhält es sich mit der Nutzung von Schwimmbädern und Bildungseinrichtungen wie der Volkshochschule.
Ein anderes Beispiel ist die Verkehrsplanung: Selbstverständlich ist der öffentliche Verkehrsraum für alle gleichermaßen da, aber die tätsächliche Nutzung unterscheidet sich auch hier: Während Männer häufiger ein Auto zur Verfügung haben, nutzen Frauen eher den Öffentlichen Nahverkehr, das Fahrrad oder gehen zu Fuß. Auch legen Frauen - aufgrund der gesellschaftlich noch häufig existierenden Rollenverteilung - durchschnittlich mehr und auch andere Wege zurück als Männer, weil sie neben dem Arbeitsweg Kinder zu Schulen und Kitas bringen, Besorgungen erledigen, Kinder zum Sport oder anderen Aktivitäten begleiten oder andere Formen der Care-Arbeit erledigen. Daher hat die politische Entscheidung, ob eher in Radwegenetze und den Öffentlichen Nahverkehr investiert wird oder eher in mehrspurige Straßen, auf Männer andere Auswirkungen als auf Frauen. Dabei wird deutlich: Öffentliche Haushalte sind nicht geschlechtsneutral.
Wieso haben Sie sich anstelle von „Gender Budgeting“ für den Begriff „FINANZfairTEILUNG“ entschieden?
Der Begriff Gender Budgeting ist etwas sperrig und nicht sehr aussagekräftig. Deshalb haben wir im Rahmen eines Wettbewerbs unter den Beschäftigten der Stadt Münster einen neuen und eingängigen Namen gesucht. Es wurden über 50 Vorschläge eingereicht, dabei hat sich der Name „FINANZfairTEILUNG“ durchgesetzt. Er stellt auf den ersten Blick klar, dass es um Geld und dessen gerechte Verteilung geht.
Wie kam es zur Einführung der FINANZfairTEILUNG? Welche Herausforderungen mussten Sie dabei meistern?
Der Rat der Stadt Münster hat im Jahr 2007 beschlossen, Gender Budgeting einzuführen, der politische Wille war also da. Im ersten Anlauf hat Münster den Start von Gender Budgeting im Zusammenhang mit der Umstellung des NKF, also des Neuen Kommunalen Finanzmanagements, gewagt. Fortbildungen zum NKF enthielten zum Beispiel auf Bestreben des Amtes für Gleichstellung (damals noch Frauenbüro) auch geschlechterdifferenzierte Fragestellungen. Allerdings standen zu diesem Zeitpunkt andere Themen im Vordergrund. Daneben war der geschlechtergerechte Haushalt zu diesem Zeitpunkt zu komplex und wurde zugunsten der technischen Fragen zur Einführung des NKF erst mal hinten angestellt.
Im zweiten Versuch startete die Kämmerei zusammen mit dem Amt für Gleichstellung die Einführung von Gender Budgeting in der Stadtverwaltung. Ein Expert*innenteam informierte Vertreter*innen von Politik und Verwaltung, woraus sich eine Projektgruppe bildete, in der alle Dezernate vertreten waren. Es wurde schnell klar, dass eine personelle Unterstützung notwendig ist, um Gender Budgeting voran zu bringen. Deshalb hat das Amt für Gleichstellung im Auftrag der Kämmerei die Koordination von Gender Budgeting – ausgestattet mit Finanzmitteln und Personal – übernommen. Für jedes Dezernat hat die Projektgruppe einzelne Bereiche festgelegt, für die im Haushaltsplan genderdifferenzierte Kennzahlen entwickelt wurden.
Im Rahmen von zwei Workshops wurden drei Pilotprojekte in den Fachämtern mit jeweils verschiedenen Arbeitsansätzen entwickelt. Parallel haben wir eine Gebrauchsanweisung zu FINANZfairTEILUNG für die Fachämter und auch für die Politik erarbeitet.
Zwischenzeitlich haben wir Gender Budgeting mit der Europäischen Charta für Gleichstellung verknüpft, um für beide Querschnittsaufgaben Synergien zu schaffen, die sich gut ergänzen.
Ein Ziel zum Gender Budgeting ist auch in der Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Münster verankert. Wie hängen kommunale Finanzen, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit (in Münster) zusammen?
Die Gleichstellung der Geschlechter ist eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Denn nur eine angemessene Teilhabe von Frauen an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen führt zu einer tatsächlichen, also zukunftsorientierten, nachhaltigen Entwicklung, in der alle Geschlechter gleichermaßen von den (finanz-)politischen Entscheidungen profitieren.
Nachhaltigkeit und Gleichstellung sind also beides Querschnittsthemen, die sich in ihrer strategischen Ausrichtung für die Zukunftsfähigkeit einer Stadtverwaltung ergänzen sollten.
Wird die Wirkung der FINANZfairTEILUNG überprüft? Und wenn ja, wie?
Die Überprüfung der Auswirkungen einer Haushaltsplanung liegt in den Händen der Politik. Aktuell konnten wir die Dezernate überzeugen, in den momentanen Schwerpunktaufgaben Bauen und Wohnen, Mobilität und Infrastruktur und Integration und Bildung die Gleichstellungskennzahlen und Gleichstellungsziele stark auszuweiten bzw. zu entwickeln. Im nächsten Haushaltsplan werden daher viele gleichstellungsrelevante Ziele und Kennzahlen vorhanden sein, anhand derer die Politik die Einhaltung der Ziele und die Entwicklung der Kennzahlen evaluieren kann. Wir als Amt für Gleichstellung werden nach Abschluss des Haushaltsjahres mit den Ratsmitgliedern in den Austausch gehen.
Kann jede beliebige Kommune Gender Budgeting in ihren Haushalt integrieren? Was ist in Ihren Augen die wichtigste Voraussetzung dafür?
Ja, auf jeden Fall. In meinen Augen ist die wichtigste Voraussetzung für ein gutes Gelingen eines geschlechtergerechten Haushalts eine gute Abstimmung zwischen Kämmerei, Politik und dem Amt für Gleichstellung/ dem Gleichstellungsbüro der Kommune. Zusätzlich ist es natürlich hilfreich, finanzielle Ressourcen und Personal dafür zu haben.
Hat die Corona-Krise, die ja unter anderem zu finanziellen Herausforderungen in den Kommunen geführt hat, Auswirkungen auf die FINANZfairTEILUNG?
Corona hat ziemlich sicher Auswirkungen auf eine gleichstellungsorientierte Haushaltsplanung. Gerade in Zeiten knapper Kassen oder Krisenzeiten bietet es sich an, genauer hinzuschauen, wofür öffentliche Ressourcen eingesetzt oder wo sie gekürzt werden. Gender Budgeting ist hierfür ein sinnvolles Instrument, weil es zeigt, wie die öffentlichen Mittel zwischen den Geschlechtern verteilt sind und ob die Ressourcenverteilung die Bedürfnisse aller gleichermaßen berücksichtigen.
Was möchten Sie interessierten Kommunen abschließend mit auf den Weg geben?
Sehr hilfreich ist es in meinen Augen, einen politischen Beschluss zu haben, auf den man sich berufen kann. Falls die Fachämter sich scheuen, an Projekten oder Maßnahmen für Gender Budgeting teilzunehmen, kann ich sie zum Beispiel stets an den Ratsbeschluss erinnern.
Uns hilft auch die Tatsache, dass Gender Budgeting mit der Europäischen Charta verbunden ist. Denn dadurch können wir die Fachämter einerseits deutlicher verpflichten und andererseits damit argumentieren, dass sie mit einer Maßnahme gleich an zwei Querschnittsthemen der Stadt arbeiten. Das und auch die Erweiterung der Kennzahlen und Ziele im Haushaltsplan haben wir uns durch einen Beschluss des Verwaltungsvorstands gesichert, worauf wir uns ebenfalls immer berufen können.
Im Jahr 2018 haben wir in Münster einen überregionalen Arbeitskreis Gender Budgeting gegründet, an dem momentan 21 Kommunen aus ganz Deutschland beteiligt sind. Der Erfahrungsaustausch mit anderen Kommunen ist sehr hilfreich, das Rad muss nicht überall neu erfunden werden. Das nächste Treffen des Arbeitskreise findet am 29.09.2020 in Dortmund mit einer Expertin für Gender Budgeting aus Wien statt. Interessierte können dazu gern Kontakt mit mir aufnehmen.
Wie in jedem Querschnittsthema braucht es viel Zeit und viel Geduld, um die Beteiligten zu überzeugen.
Außerdem hilft es, konkrete und nachvollziehbare Beispiele zu benennen. Denn mit den richtigen Bildern im Kopf wird man sich oft erst darüber bewusst, wo überall unterschiedliche Bedürfnisse bei der Verteilung der öffentlichen Mittel bestehen.
Frau von Hayn, wir danken Ihnen für diesen spannenden Einblick!
Eine Gebrauchsanweisung für Beschäftigte aller städtischen Ämter können Sie hier einsehen. Interessierte Kommunen können sich gerne an Julia von Hayn, E-Mail: vonhayn@stadt-muenster.de, Tel.: 0251-4921704 wenden.