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Die Pandemie als harter Lehrmeister: Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg, im Gespräch

Landrat Stephan Pusch | Foto: Kreis Heinsberg

Was bewegt die Mitglieder der LAG 21 NRW? Wie setzen sie sich für Nachhaltige Entwicklung ein? Diesmal: Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg.

„Die beste Prävention für neue Katastrophen ist es, nachhaltiger zu leben“, sagt Stephan Pusch. Der Landrat des Kreises Heinsberg erhielt für seine Pionierarbeit im Umgang mit der Corona-Krise zuletzt das Bundesverdienstkreuz. Im telefonischen Gespräch verriet er uns seine persönlichen Ambitionen in Sachen Nachhaltigkeit und erklärte, wieso wir als Gesellschaft jetzt an unserer Resilienz arbeiten müssen.

Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie persönlich?

Nachhaltig ist für mich das, was auf Dauer hält – und dabei an keine natürlichen Grenzen stößt. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit dem Thema und der Frage, wie wir eigentlich leben und welche Auswirkungen das hat. Wir modernen Menschen haben uns, vor allem im Konsum, einige schlechte Routinen angewöhnt, was die Ökoverträglichkeit angeht. Also habe ich meine persönlichen Routinen hinterfragt – und habe versucht, umzudenken, zu reduzieren und auf unverpackte Sachen umzusteigen. So bin ich eine ganze Menge Ballast losgeworden.

Der Kreis Heinsberg ist neues Mitglied im Netzwerk Nachhaltigkeit der LAG 21 NRW – wieso haben Sie sich für eine Mitgliedschaft entschieden?

Ganz einfach: Ich sehe nichts Vergleichbares auf dem Markt! Keiner geht das Thema Nachhaltige Entwicklung auf kommunaler Ebene so gut und so strategisch an.

Welche Themen der Nachhaltigkeit spielen für den Kreis Heinsberg aktuell die größte Rolle?

Im Bereich Bildung haben wir sehr nachhaltig gearbeitet. Wir sind der einzige Kreis in NRW, der eine kreisweite Schulentwicklungsplanung auf den Weg gebracht hat, um nach den gegebenen Förderbedarfen zu handeln. Außerdem haben wir ein Klimaschutzkonzept auf den Weg gebracht und stärken mit der Regionalmarke „Heinsberger Land“ regionale Wertschöpfungsketten. Weitere wichtige Themen sind Wiederaufforstung, die Regeneration von Mooren und Renaturierung von Gewässern.

Welche Themen sind noch ausbaufähig?

Wie bei allen Landkreisen ist der ÖPNV ein schwieriges Thema, vor allem für uns als Flächenkreis. Vor Jahren schon sind wir auf ein Multibussystem umgestiegen, um bedarfsgerechter zu werden. Das hat sich dank einer App auch bisher gut entwickelt. Mit einem neuen Ticket für Schülerinnen und Schüler wollen wir die jungen Leute auch außerhalb der Schulzeit mobil machen – und Alternativen zum Auto anbieten. Meine Zukunftsvision für den Verkehr im Kreis Heinsberg wären selbstfahrende Systeme, die per Knopfdruck vollautomatisch und autonom Mobilität garantieren. Aber bei dem Thema bohrt man generell viele dicke Bretter.

Zu Anfang der COVID-19-Pandemie haben Sie dank früher Maßnahmen bundesweit für Aufsehen gesorgt und wurden für Ihre Pionierarbeit mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Wie empfinden Sie die aktuelle Situation?

Die Blaupause, die wir ganz zu Anfang der Pandemie in kürzester Zeit entwickelt haben, hat immer noch Gültigkeit. Maskenpflicht, Abstandsregeln, Schulen schließen – da sind sonst keine neuen Rezepte erfunden worden. Es sind aber auch, neben der Impfung, die einzigen Instrumente, die uns zur Verfügung stehen. Wichtig war und ist auch die Kommunikation, damit die Bevölkerung immer auf dem aktuellen Stand ist und weiß, was man wie und warum macht. Mein einfacher Rat: seid ihr selbst! Redet geradeaus, beschönigt nichts, sagt platt die Wahrheit. Wenn die Menschen das Gefühl haben, sie wären selbst im Krisenstab mit dabei gewesen, verstehen sie die oft schwierigen Maßnahmen auch.

Wie schätzen Sie die Maßnahmen und den generellen Umgang mit der Pandemie mit Blick auf Nachhaltigkeit ein?

Um nachhaltig aus der Krise zu kommen, dürfen wir eins nicht machen: Wenn wir später im Jahr alle durchgeimpft sind, dürfen wir nicht einen Haken machen und sagen „So, das war’s“. Unser Gesundheitssystem darf nicht so auf Kante genäht sein, man darf nicht an allen Ecken und Enden einsparen. Eine der wichtigsten Lehren muss sein: In einem so knappen System wird es schnell dramatisch.

Zudem müssen wir uns mit Resilienz beschäftigen. Denken wir etwa an Lebensmittelerzeugung – wer sagt uns, dass in der nächsten Pandemie nicht die globalen Lieferketten wegbrechen? Wir müssen einen Fokus darauf richten, was wir regional im Köcher haben. Zudem muss man die Steuerung überdenken. Beim ersten Ausbruch war es gut, dass der Landkreis mit Entscheidungen nicht auf Düsseldorf warten musste. Bei einer deutschlandweiten Krise muss aber die zentrale Entscheidungsmacht bekräftigt werden, um eine stringente Kommunikation zu ermöglichen.

Viele Themen geraten durch die tägliche Arbeit mit der Pandemie in den Hintergrund – wieso ist es gerade jetzt wichtig, Themen der Nachhaltigkeit mitzudenken?

Die Pandemie ist ein harter Lehrmeister. Wir waren im Scheinglauben mit unserer modernen Technik alles im Griff zu haben – dem ist nicht so. Die beste Prävention für neue Katastrophen ist es, nachhaltiger zu leben. Das erschafft höhere Resilienzen. Dabei denke ich auch an soziale Themen, wie Armut. Wem es vorher schon schlecht ging, der leidet nun am meisten unter der Krise. Armut zu bekämpfen ist also auch eine Vorsorge für die nächste Katastrophe.

Wie kann diese Vorsorge gelingen?

Ich denke, der nachhaltigste Prozess ist der, der von unten nach oben funktioniert. Es nützt nichts, immer nach oben zu starren und zu sagen „bei der UN müsst ihr zu Potte kommen“. Jeder Einzelstaat muss mehr tun und aktiv werden. Ich persönlich lebe nach dem Motto: Jeder fängt vor seiner eigenen Tür an zu kehren. Deswegen nützt es nichts auf andere zu zeigen.

Mehr aus dem Kreis Heinsberg auf www.kreis-heinsberg.de

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