Klimaklage erstmals erfolgreich vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte

Klimaschutz ist Menschenrecht. Das hat nun erstmals das höchste europäische Gericht, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), geurteilt. Details zu den am 9. April 2024 verhandelten Klimaklagen und der erwarteten Signalwirkung des bahnrechenden Urteils hier.
Klimaklagen – was lange Zeit zunächst ein Phänomen in den USA war, erhielt schließlich auch mit dem wegweisenden „Urgenda-Urteil“ in den Niederlanden Einzug in Europa. Die Stiftung Urgenda, welche den niederländischen Staat auf eine stärkere Emissionsreduzierung im Sinne des Klimaschutzes verklagte, konnte hier bereits 2015 in erster Instanz vor dem Den Haagener Gericht einen Sieg erringen. 2019 wurde diese Entscheidung letztinstanzlich vor dem Hohen Rat der Niederlande bestätigt. Spätestens seit dem richtungsweisenden Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021 ist nun auch in Deutschland klargestellt: Klimaschutz ist ein Grundrecht – welches auch für zukünftige Generationen gilt. Nun hat auch das höchste europäische Gericht erstmals geurteilt: Klimaschutz ist Menschenrechtsschutz.
Klimaseniorinnen Schweiz erzielen bahnbrechenden Erfolg
Darauf haben sie lange hingearbeitet: Die Klimaschützerinnengruppe „KlimaSeniorinnen Schweiz“ hat mit einer ersten Klage für strengere Maßnahmen gegen den Klimawandel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Erfolg gehabt.

Die Richter*innen verurteilten die Schweiz wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention – und gaben damit einer Gruppe Schweizer Seniorinnen Recht. Diese hatten gegen ihre Regierung geklagt, die mit ihrer aktuellen Klimapolitik das Pariser Klimaschutzabkommen verfehlen würde. Insbesondere ältere Frauen, die zu der am stärksten von Hitzewellen betroffenen Bevölkerungsgruppe gehören, würden dadurch gefährdet. Unterstützt wurde der Verein von ausschließlich weiblichen Mitgliedern mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren, von Greenpeace Schweiz. Der gemeinsame Weg über alle rechtlichen Instanzen begann bereits 2016 – nun mit Erfolg. Die Frauen seien in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben (Artikel 8 der Menschenrechtskonvention) berührt worden, urteilte das höchste europäische Gericht am Dienstag, 9. April 2024. Zudem läge ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6) vor. Die Schweizer Gerichte hätten demnach den Sachverhalt nicht ausreichend geprüft.
Klagen aus Portugal und Frankreich wegen Formfehlern abgewiesen
Geklagt hatten außerdem sechs junge Portugies*innen gegen alle EU-Mitgliedsstaaten, sowie gegen Norwegen, Russland, die Schweiz, die Türkei und das Vereinigte Königreich. Auslöser für die Klage waren mehrere verheerende Waldbrände in Portugal im Sommer 2017 mit 65 Toten und 200 Verletzen – begünstigt durch eine vorangegangene Hitzewelle. Eingeklagt werden sollte auch hier das konsequente Einhalten des Pariser Klimaschutzabkommens. Diese Klage wiesen die 17 Richter*innen aus Straßburg jedoch ab. Die jugendlichen Kläger*innen, unterstützt durch die Menschenrechtsorganisation Global Legal Action Network (GLAN), hätten den Rechtsweg in ihrem Heimatland nicht vollständig ausgeschöpft.
Abgewiesen wurde zudem die Klimaklage eines ehemaligen Bürgermeisters aus Frankreich, der der Regierung in Paris vorwarf, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun, um die Überflutung seiner Stadt zu verhindern. Auch hier lag ein Formfehler vor: Das Gericht urteilte, der ehemalige Bürgermeister besäße aufgrund seines aktuellen Wohnsitzes in Brüssel keinen sog. „Opferstatus“ – und wäre somit nicht ausreichend betroffen.
Urteil mit Signalwirkung

Der Sieg der Klimaseniorinnen ist der erste Fall, in dem der EGMR zum Klimawandel und der möglichen Berührung von Menschenrechten durch Unterlassung von Klimaschutzmaßnahmen urteilte. Obwohl das Urteil aktuell nur die Schweiz bindet, sendet es auch ein wegweisendes Signal an alle anderen 46 Mitgliedsstaaten des Europarates. Das Urteil des europäischen Gerichts könnte damit zum Präzedenzfall werden und zu zahlreichen weiteren Klimaklagen führen – sowohl vor nationalen Gerichten als auch vor dem EGMR.
Klimaklagen als wichtiges Instrument der Zivilgesellschaft
Klimaklagen sind keine Weltretter und können demokratische Prozesse für die erfolgreiche Aushandlung und Umsetzung zukunftsfähiger Klimapolitik nicht ersetzen. Gerade für NGOs (in Deutschland z.B. die Deutsche Umwelthilfe, ClientEarth oder den BUND) bilden Klimaklagen jedoch zunehmend ein strategisches Instrument, um sicherzustellen, dass Klimaschutz als Thema auf der politischen Agenda bleibt. Das hat einen Grund: Durch Klimaklagen lässt sich unter Umständen nicht nur durch eingeklagte rechtliche Abhängigkeiten konkreter Wandel in der politischen Arena erzeugen, sie können darüber hinaus laut einer Studie der Amsterdam School of Communication Research mithilfe medialer Berichterstattung weiteren Druck auf das politische System aufbauen und eine breitere gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Klimapolitik schaffen.
Nicht umsonst schätzen Klimaexpert*innen der Uni Hamburg in ihrer Publikation „Hamburg Climate Futures Outlook ‘23“ Klimaklagen als einen von 10 gesellschaftlichen Treibern ein, die erfolgreichen Klimaschutz und umfassende Dekarbonisierung beeinflussen können. Sie seien somit eins der zentralen Instrumente der Zivilgesellschaft, wenn es um das Einfordern von zukunftsfähigem Klimaschutz geht – neben sozialen Bewegungen, Klimaprotesten und Initiativen.
Weltweite Zunahme an Klimaklagen – auch auf Landes- und Kommunalebene?
Es bleibt abzuwarten, welche Effekte das Urteil des EGMR auf weitere Klimaklagen hat. Sehr wahrscheinlich ist, dass sich der globale Trend der starken Zunahme an weltweiten Klimaklagen fortsetzten wird.
So sahen sich in Deutschland nach den erfolgreichen Klimaklagen gegen die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht auch zehn Landesregierungen, u.a. NRW, mit derartigen Klagen konfrontiert. Diese wurden jedoch vorerst vom Bundesverfassungsgericht aufgrund fehlender gesetzlicher länderspezifischer Festschreibung an einzuhaltenden CO2-Budgets abgewiesen. Ende 2023 wurde bundesweit zudem erstmals eine Kommune in Bayern verklagt. Hintergrund war hier ein Bürgerbegehren mit der Forderung an die Stadt Bayreuth, konkrete Maßnahmen zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2030 umzusetzen. Dieses hatte der Stadtrat jedoch mehrheitlich für unzulässig erklärt, woraufhin die Initiative „Klimaentscheid Bayreuth“ vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth klagte. Dieses wies die Klage jedoch aufgrund von Mängeln am Abstimmungstext ab.
Auf welchen politischen Ebenen sich Klimaklagen in Zukunft abspielen werden, bleibt vorerst also offen.
Weitere Infos auch in der Medienmitteilung von Greenpeace Schweiz hier.